Ein interessantes Urteil zur Auslegung von Versicherungsbedingungen hat der BGH (IV ZR 153/20) gefällt.
Ein Versicherungsnehmer, der eine Nachversicherungsoption in Anspruch genommen hat, hat kurz darauf die versicherte Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt. Streitpunkt ist, ob der Beginn der Berufsunfähigkeit vor oder nach der Rentenerhöhung liegt.
Der BGH lässt interessanterweise zwei Lesarten der Bedingungen zu und verweist den Fall zur Bestimmung der „richtigen“ Lesart zurück an die Vorinstanz, die „bislang keine Feststellungen dazu getroffen hat, nach
welcher der beiden Alternativen […] der Kläger berufsunfähig ist.“
Bei der Interpretation („wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht“) geht es um verschiedene Textstellen in den Bedingungen- Einmal um den Abschnitt „Wann liegt vollständige Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen vor?
In einer zumindest vergleichbaren Klausel heißt es:
„Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung, Pflegebedürftigkeit oder mehr als altersentsprechenden Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, 6 Monate ununterbrochen außerstande war oder voraussichtlich 6 Monate ununterbrochen außerstande ist, ihren zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung aus-gestaltet war, auszuüben.“
Der BGH führt dazu aus, dass „zwei durch das Wort „oder“ getrennte Alternativen“ aufgeführt werden. Eine im Imperfekt („war“) und eine im Präsenz („ist“).
Bei Alternative 1 handelt ers sich um eine rückblickende Beurteilung (ex post), „die erst nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums möglich ist.“ Die zweite, im Präsenz formulierte Alternative hat dagegen „keine rückschauende Betrachtung zum Gegenstand [.], sondern die Prognose, ob
die versicherte Person „voraussichtlich“ während eines Sechsmonatszeitraums außerstande sein wird, ihren Beruf auszuüben.“
Daraus ergeben sich verschiedene mögliche Folgerungen, die relevant für den Beginn der Berufsunfähigkeit sein – einmal liegt sie bereits ab Beginn vor und einmal erst nach Ablauf des Sechsmonatszeitraums. Dabei geht es nicht (nur) um die Rente für die 6 Monate, sondern insbesondere um die Wirksamkeit der durch die Nachversicherung erhöhten Rente.